40 Jahre Nationalpark Wattenmeer

Umweltorganisationen ziehen kritische Bilanz

Hamburg / Husum, 29.09.2025: Der Nationalpark Schleswig-Holsteinisches Wattenmeer feiert seinen 40. Geburtstag. Anlässlich des Festaktes am 30.09. in Tönning freuen sich der WWF Deutschland und die Schutzstation Wattenmeer über den im Laufe der Jahre stark verbesserten Schutz, ziehen aber insgesamt eine kritische Bilanz. Die Umweltorganisationen warnen vor den Auswirkungen der Klimakrise, nicht nationalparkverträglicher Fischerei, einer besorgniserregenden Abnahme der Bestände verschiedener Arten und den Auswirkungen von zu viel Industrie und Kabeln in der Nordsee.

„In den letzten 40 Jahren hat der Nationalparkstatus dem Wattenmeer viel Freiheit zurückgegeben. Die Salzwiesen blühen aufgrund der verringerten Beweidung vielfach wieder auf und entwickeln sich natürlicher und artenreicher“, berichten WWF und Schutzstation Wattenmeer. Ein klarer Erfolg sind auch die gestiegenen Bestände der Seehunde und die Rückkehr der Kegelrobbe.

Auch die Anerkennung des Gebietes als UNESCO-Weltnaturerbe im Jahr 2009 gilt als ein Meilenstein des Naturschutzes an der Küste. „Zu Beginn war der Nationalpark stark umstritten, inzwischen ist man stolz auf das Naturwunder vor der Haustür. Die hohe Akzeptanz des Nationalparks in den angrenzenden Landkreisen ist bemerkenswert und sicher auch auf das erfolgreiche Konzept der Nationalpark-Partnerschaft zurückzuführen. Auch wenn Kompromisse zwischen dem Schutz und den Nutzungsinteressen gelingen, wie zuletzt beispielsweise mit der Muschelfischerei, ist das ein großer Erfolg”, so WWF und Schutzstation Wattenmeer.

Trotz des stark verbesserten Schutzes steht das Weltnaturerbe durch die wirtschaftliche Nutzung und die Klimakrise unter großem Druck. „Der Schutz der Unterwasserwelt ist das Sorgenkind des Wattenmeers. Auch nach 40 Jahren wird die Wasserfläche des Nationalparks nahezu flächendeckend befischt und es ist eine besorgniserregende Abnahme einiger Tiere und Pflanzen zu verzeichnen”, erklären die Umweltorganisationen. Zuletzt hat eine wattenmeerweite Studie der Universität Oldenburg und anderer belegt: Es gibt alarmierende Artenrückgänge, besonders bei Fischen, aber auch gerade bei kleinen tierischen Organismen, dem Zooplankton, der Basis des Nahrungsnetzes, und typischen Vogelarten wie dem Austernfischer.

Besonders die Krabbenfischerei beeinträchtigt die Natur mit ihren Bodenschleppnetzen erheblich. Ein kürzlich beendeter Zukunftsdialog zwischen Fischerei, Naturschutz und der Landesregierung blieb erfolglos. Der WWF und die Schutzstation Wattenmeer fordern die Landesregierung daher auf, nun ohne eine Einigung im Dialog große fischereifreie Gebiete einzurichten. Denn die derzeitige Praxis der Krabbenfischerei widerspricht den Anforderungen des Bundesnaturschutzgesetzes, der EU-Habitatrichtlinie sowie der EU-Wiederherstellungsverordnung.

Die Klimakrise bedroht das Ökosystem Wattenmeer sogar in seiner Existenz. „Die Erhitzung ist schon da. Nun kommen Sommersturmfluten und zukünftig der beschleunigte Meeresspiegelanstieg hinzu. Brut- und Rastvogelbestände leiden darunter besonders, wenn beispielsweise Nester und Jungtiere weggespült werden“, so die Umweltorganisationen. Damit das Wattenmeer seine Rolle für Mensch und Tier erfüllen kann, müssen Schutz und Nutzung im Gleichgewicht sein. „An die schon heute rapide Erwärmung von Luft und Wasser kann sich das Wattenmeer am besten anpassen, wenn wir Naturprozesse zulassen – “Natur Natur sein lassen” - und sie möglichst wenig beeinträchtigen. Dafür müssen Schadstoffe, Bebauung, Industrie und Fischerei reduziert werden. Ein möglichst natürliches System ist auch widerstandsfähiger gegenüber Klimafolgen”, erklären WWF und die Schutzstation Wattenmeer.

Langfristig muss das Wattenmeer möglichst gut mit dem Meer mitwachsen können, um sich an den beschleunigten Meeresspiegelanstieg anzupassen. Naturnahe Küstenschutzmaßnahmen können bei der Klimaanpassung helfen, z. B. Sandvorspülungen anstatt harter Bauwerke. Aber Lösungen können auch hinter dem Deich liegen. „Auf Dauer müssen wir die Küstenlinie wieder dynamischer denken. Dazu werden bereits doppelte Deichsysteme oder Tidepolder erprobt, in die gezielt wieder Meerwasser und sich ablagernde Sedimente hineingelassen werden", so die Umweltorganisationen. Auf diese Weise könnten zunächst manche – unbewohnte - Küstenniederungen hinter dem Deich wieder besser mit dem Meeresspiegelanstieg mitwachsen. Das ist notwendig, weil der Boden in den Niederungen hinter dem Deich schon heute immer weiter absinkt, während draußen das Meer ansteigt.

„Das Wattenmeer trägt den Titel Weltnaturerbe nicht umsonst. Es gehört zu den größten natürlichen Lebensräumen, die wir im Westen Europas noch haben. Wir müssen alles geben, um diesen Schatz zu erhalten und damit auch unsere Lebensgrundlagen zu schützen”, betonen der WWF und die Schutzstation Wattenmeer.

Herbstfarben vor Westerhever
Viele früher intensiv beweidete Salzwiesen nähern sich heute einem weitgehend natürlichen Zustand.
Vogelschwärme über dem Watt
Gut 10 Millionen Zugvögel rasten auf ihren Wegen zwischen Arktis und Afrika im Wattenmeer.
Kegelrobbe am Strand
Etwa mit der Gründung des Nationalparks kehrten die im Mittelalter ausgerotteten Kegelrobben in das Wattenmeer zurück. Eine ermutigende Entwicklung.
Collage: Muschelfangschiffe und Saatmuschelanlage
Die Fischerei verändert das Wattenmeer seit Jahrhunderten. Bei Sylt hat die Muschelwirtschaft industrielle Ausmaße. Allerdings beschränkt sie sich inzwischen auf wenige Teilgebiete des Nationalparks.
Zwei Krabbenkutter fischen im Watt
Die Garnelenfischerei mit Grundschleppnetzen ist hingegen mit Ausnahme einer kleinen Nullnutzungszone flächendeckend erlaubt.
Spuren von Netzen kreuzen sich auf Wattboden
Die Kurrnetze hinterlassen mit ihren Gleitern und Rollen deutliche Spuren auf dem Wattboden. Empfindlichen Bodenlebewesen haben so kaum eine Chance.
Hohe Abbruchkante an Düne nach Sturmflut
Die Klimakrise lässt den Meeresspiegel steigen. Wattflächen fallen seltener frei; Sturmfluten führen zu enormen Dünenabbrüchen.
Deichbaustelle vor Büsum
Orte wie Büsum sind durch "Klimadeiche" wohl noch länger zu schützen.
Vogelschwärme zwischen Deich und Leuchtturm Westerhever bei Landunter
Doch wo finden künftig zwischen steigendem Meer und erhöhten Deichen die Millionen Zugvögel Nahrung und Rastplätze?
Luftbild - Hallig Langeneß bei Landunter
Die Halligen wachsen seit Jahrhunderten mit dem Meeresspiegel - allerdings nur, weil man Landunter zulässt, die die nötigen Sedimente auf den Salzwiesen ablagern.