Artenschwund im Wattenmeer
Neue internationale Studie
Das Wattenmeer erlebt tiefgreifende Veränderungen: Zahlreiche Organismengruppen verzeichnen deutliche Rückgänge, von Muscheln über Salzwiesenpflanzen bis hin zu Wat- und Wasservögeln. Zu diesem Ergebnis kommt eine aktuelle Studie der Universitäten Oldenburg und Groningen. Das Forschungsteam hat Tier- und Pflanzenpopulationen im Wattenmeer über mehr als 100 Jahre zurückverfolgt. Die negativen Trends überwiegen - ein Viertel der Bestände hat demnach sogar deutlich abgenommen. Dies betrifft auch wichtige Wattenmeerarten entlang der deutschen und dänischen Küste.
Barbara Ganter, Biologin und Naturschutzexpertin der Schutzstation Wattenmeer: „Ökosysteme unterliegen einem stetigen Wandel. Der allgegenwärtige Einfluss des Menschen beschleunigt diesen Wandel aber immer stärker und führt dazu, dass es unter dem Strich auch im Wattenmeer mehr Verlierer als Gewinner gibt.“ Die neue Studie zeige eindrucksvoll, wie ganze Artengruppen in nur wenigen Jahrzehnten stark zurückgegangen seien. Damit werde das gesamte Ökosystem umorganisiert und seine Stabilität gefährdet. Zugleich bestätigt die Erhebung bereits bekannte Trends: Der Bestand des Austernfischers ist seit 1990 um über 40 Prozent eingebrochen. Im schleswig-holsteinischen Wattenmeer brüten nur halb so viele dieser Vögel wie vor 25 Jahren.
Die Daten zeigen, dass die Rückgänge nicht nur punktuell, sondern flächendeckend auftreten. „Wir benötigen mehr Gebiete, auf denen keine oder nur eine naturangepasste Nutzung im Wattenmeer stattfindet“, fordert Ganter. So sollte die Fischerei bis 2030 auf kontaktarme Netze umgerüstet und jegliche Grundschleppnetzfischerei aus Meeresschutzgebieten verbannt werden. Die Wat- und Wasservögel auf dem Ostatlantischen Zugweg benötigen auch an unseren stark touristisch genutzten Küsten ruhige Rückzugsräume und die Möglichkeit, im Watt ungestört nach Nahrung suchen zu können.
Gleichzeitig zeigen die Forschungsergebnisse, wie wichtig eine kontinuierliche Überwachung des Lebensraums ist. „Ein vernetztes Online-Monitoring aller Wattenmeeranrainer würde Trends schneller offenbaren, bevor sie zu Krisen werden“, so die Naturschutzexpertin.
Eine Tendenz zeichnet sich jedenfalls deutlich ab: Wärmeliebende Arten zählen zu den Gewinnern der Entwicklung. Die Zahl der Löffler im Wattenmeer hat sich binnen 30 Jahren versechsfacht und Pazifische Austern formen von Blavand bis Den Helder wattenmeerweit riffartige Strukturen an der Küste.
Strandfunde-Internetportal BeachExplorer
Um die naturinteressierte Öffentlichkeit in die Dokumentation des Artenwandels einzubinden, hat der Verein das preisgekrönte Strandfunde-Internetportal BeachExplorer initiiert. Dort kann man Beobachtungen seltener werdender Arten ebenso melden, wie die von neuen Einwanderern, wie der Manila-Teppichmuschel.
Hintergrundinformationen zur Schutzstation Wattenmeer e.V.
Der unabhängige Verein ist seit 1962 im Wattenmeer aktiv, betreut in Schleswig-Holstein zwei Drittel des Nationalparks und führt biologische Monitoring-Programme durch, wie Wattkartierungen, Vogelzählungen und Spülsaumanalysen. Neben seinem Schwerpunkt auf der Umweltbildung trägt der Verein zu wissenschaftlichen Erhebungen vor Ort bei – Grundvoraussetzung für fundierte Naturschutzmaßnahmen.
Links:
Studie „Synthesis of Population Trends Reveals Seascape Wide Reorganisation of Biodiversity From Microalgae to Birds“ (Global Change Biology, 18. Juni 2025, DOI 10.1111/gcb.70298)