Ursachen der Pottwal-Strandungen bleiben unklar

Viele Wale mit Müll belastet. Irrweg in die Nordsee jedoch eher durch Stürme bedingt.

Bei der Untersuchung der in Schleswig-Holstein gestrandeten Pottwale sind große Mengen Müll entdeckt worden. Vier der 13 Wale hatten teils große Mengen Plastikmüll in ihren Mägen. Dies war zwar nicht der Grund für die Strandung und den Tod der Tiere, spiegelt aber die Situation auf dem offenen Meer wider. Tierärzte und Biologen vermuten, dass die besonders betroffenen Tiere große gesundheitliche Probleme durch die Reste des Mülls bekommen hätten. Das wurde bei der Präsentation der Untersuchungsergebnisse am 23. März im Multimar Wattforum in Tönning deutlich.
Zu den auffälligsten Müllteilen gehören Reste eines 13 Meter langen und 1,2 Meter breiten Schutznetzes, das in der Krabbenfischerei eingesetzt wird, eine 70 Zentimeter lange Plastikabdeckung aus dem Motorraum eines Autos und die scharfkantigen Reste eines Kunststoffeimers. „Diese Funde zeigen uns die Auswirkungen unserer Kunststoffgesellschaft: Tiere nehmen unbeabsichtigt Plastik und anderen Kunststoffmüll auf, leiden darunter, im schlimmsten Fall verhungern einige bei vollen Mägen. Das ist eine dringende Mahnung, verstärkt gegen Müll im Meer vorzugehen. Schleswig-Holstein wird seine Anstrengungen hierzu intensiv fortsetzen“, sagte Umweltminister Robert Habeck.


Pottwalbullen liefen auf Grund – Todesursache Herz- und Kreislaufversagen
Die 13 Wale waren im Januar und Februar an Schleswig-Holsteins Nordseeküste gestrandet. Professor Ursula Siebert, Leiterin des Instituts für Terrestrische und Aquatische Wildtierforschung der Stiftung Tierärztlichen Hochschule Hannover (ITAW), hatte die Pottwale anschließend mit ihrem Team eingehend untersucht. Alle Tiere waren junge, noch nicht geschlechtsreife Bullen, 10 bis 15 Jahre alt und 12 bis 18 Tonnen schwer. Sie waren allesamt in einem guten Gesundheits- und Ernährungszustand. Das zur Orientierung wichtige Gehör der Tiere zeigte keine Anzeichen für ein schweres akustisches Trauma und der Befall in den verschiedenen Organen mit Parasiten war altersentsprechend normal.
Alle Tiere waren ins Flachwasser des Wattenmeeres geraten. Dort bei ablaufendem Wasser auf dem Grund liegend, drückte das Gewicht ihres Körpers ihre Blutgefäße, die Lunge und andere Organe zusammen, so dass die Tiere an akutem Herz-Kreislauf-Versagen starben.
In ihren Mägen fand Dr. Uwe Piatkowski, Meeresbiologe vom Kieler GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung, mit seinen Studenten insgesamt über 110.000 Tintenfischschnäbel, wie die unverdaulichen Ober- und Unterkiefer von Tintenfischen genannt werden. 95 Prozent stammen vom Nordischen Köderkalmar und vom Europäischen Flugkalmar. Diese Arten kommen vor allem in der Norwegischen See, der Barentssee und den Gewässern um Island vor, den Hauptüberwinterungsgebieten der Pottwalbullen. In einem Magen wurden die Schnäbel von 21.000 der bis zu 35 Zentimeter langen Köderkalmare gefunden, was einem Lebendgewicht von etwa 4,2 Tonnen entspricht.


Letzte Nahrungsaufnahme vermutlich in der Norwegischen See
Siebert und Piatkowski vermuten, dass die verendeten Wale in der Norwegischen See letztmals gefressen hatten. Die erste Gruppe mit drei Tieren hatte sich vermutlich nur kurz in der Nordsee aufgehalten, die zweite mit zehn Tieren wohl etwas länger. In einigen ihrer Mägen wurden Knochen und andere Überreste von Nordseefischen wie Seeteufel, Kabeljau, Wittling und Seehase gefunden.
Seit Beginn des Jahres waren an der Nordseeküste in Großbritannien, den Niederlanden, Frankreich, Dänemark und Deutschland 29 Pottwale lebend oder tot gestrandet. Zudem strandeten an der Nord- und Ostseeküste Dänemarks und Deutschlands Schwertwale, Finnwale und Zwergwale. Auch jeweils zwei Streifendelfine, auch Blau-Weißer Delfin genannt, strandeten in Holland und an der schwedischen Westküste. Ein weiteres Tier konnte vor Amrum wieder in die Nordsee geleitet werden.
Die Ursachen dieses gehäuften Vorkommens sind nach Aussagen der beiden Wissenschaftler unbekannt. Ungewöhnlich hohe Temperaturen und besonders starke Stürme, die in den vergangenen Wochen im nördlichen Nordost-Atlantik registriert wurden, könnten Wassermassen aus der Norwegischen See südwärts in die Nordsee gedrückt haben - und die Tintenfische mit ihnen. Möglicherweise sind die Pottwale ihrer Hauptnahrung gefolgt und gelangten so, ebenso wie andere Walarten, in die Nordsee. Eine plausible Erklärung, die allerdings nicht bewiesen ist, da derartige ökologische Zusammenhänge nur mit großem Aufwand nachzuweisen sind.
Siebert und Piatkowski machen allerdings deutlich, dass das Vorkommen von Pottwalen in der Nordsee keiner außergewöhnlichen Erklärungen bedarf. Alle wandernden Tierarten kommen gelegentlich außerhalb ihres eigentlichen Verbreitungsgebietes vor. So erschließen sie sich immer wieder neue Lebensräume und können sich an neue Bedingungen anpassen. Pottwalstrandungen seien zudem kein neues Phänomen. Seit dem 16. Jahrhundert sind mehr als 200 Funde an der Nordseeküste dokumentiert, darunter 21 Tiere, die 1723 in der Elbmündung bei Neuwerk strandeten.
Die gelegentlich in der Nordsee vorkommenden Pottwale werden dem Azorenbestand zugerechnet. Die Männchen dieser Population verbringen den Winter im Nordatlantik. Auf ihrer Wanderungen gelangen einzelne Tiere irrtümlich in die für sie zu flache und nahrungsarme Nordsee. Mit ihrem akustischen Orientierungssinn können sie sich dort schlecht orientieren.


Sonderausstellung zu den gestrandeten Pottwalen im Multimar Wattforum
Die spektakulären Funde der Wale, ihre Bergung, Zerlegung und Untersuchung werden vom 23. März an in einer Sonderausstellung im Multimar Wattforum präsentiert, die noch durch eine Vortragsreihe ergänzt wird.
Fünf renommierte Referenten, unter anderem Schleswig-Holsteins Umweltminister Robert Habeck, werden zu unterschiedlichen Themen vortragen. Die Veranstaltungen finden in besonderer Atmosphäre unter dem Pottwalskelett im Walhaus statt. Die Termine sind jeweils donnerstags um 19:30 Uhr; der Eintrittspreis beträgt 9,- €:
 
23. Juni 2016

Vortrag „Wissenschaftliche Untersuchungen zu Pottwalstrandungen“
Prof. Dr. Ursula Siebert, Leiterin des Instituts für Terrestrische und Aquatische Wildtierforschung der Tierärztlichen Hochschule Hannover
 
7. Juli 2016

Multimedia-Vortrag zu Walen weltweit
Andrea Steffen, Pottwale e.V.
 
28. Juli 2016

Vortrag „Wale und Delphine - Orientierung mit sieben Sinnen“
Dr. Stefan Huggenberger, Zentrum Anatomie, Universität Köln
 
11. August 2016

Lesung unter dem Wal
Dr. Robert Habeck, Minister für Energiewende, Landwirtschaft, Umwelt und ländliche Räume des Landes Schleswig-Holstein
 
1. September 2016

Vortrag „Wissenschaftliche Untersuchungen zu Pottwalstrandungen“
Prof. Dr. Ursula Siebert, Leiterin des Instituts für Terrestrische und Aquatische Wildtierforschung der Tierärztlichen Hochschule Hannover
 
15. September 2016

Vortrag „Pottwalstrandungen an der Westküste Schleswig-Holsteins“
Dr. Gerd Meurs-Scher, Leiter des Multimar Wattforums
 

Plastikreste in einem Pottwal-Magen
Tausende Tintenfisch-Schnäbel zeigten, dass einige Wale noch kurz zuvor Kalmare gefressen hatten.