Wandel durch Handel - Neobiota im Watt
Nationalpark-Themenjahr: Vielfalt unter Wasser
Die globale Verschleppung von Arten durch den Menschen führt zu immer neuen ökologischen Überraschungen. Manche sind belanglos, manche unterhaltsam und andere fatal.
Das Wattenmeer ist ziemlich robust gegenüber Neobiota; aber unempfindlich ist es nicht, wie eine nähere Betrachtung zeigt. Wenn man sich die eher philosophische Erörterung spart, was „Natur“ und was „das Wattenmeer“ ist, kommt man beim Blick auf die bisher eingeschleppten Arten recht schnell zu einigen grundsätzlichen Erkenntnissen.
- Alles hängt am Wetter: Das Wattenmeer und seine Lebewesen werden maßgeblich vom drastischen Wechsel der Lebensbedingungen bestimmt. Das Wasser kommt und geht, Stürme, Hitze und Frost können auftreten; und die Organismen des Wattenmeeres – egal ob heimisch oder eingeschleppt – haben kaum Zeit, sich gegenseitig unter Druck zu setzen, bevor sie an hohen oder tiefen Temperaturen oder Wind sterben. Eingeschleppte Arten ordnen sich den Wettergewalten unter und werden Teil des Ökosystems. Sandklaffmuschel sowie Amerikanische Schwert- und Bohrmuschel sind Beispiele hierfür.
- Multikulti funktioniert oft: Es gibt eingeschleppte Arten, die einheimischen Arten einen Teil ihrer bislang sehr breiten ökologischen Nische streitig machen. Die Japanische Felsenkrabbe frisst an Brandungsfelsen (also Steinmolen) viele Strandkrabben weg, und die Pinsel-Felsenkrabbe tut dies auf Muschelbänken. Auf dem freien Watt allerdings ist die Strandkrabbe weiterhin milliardenfach zu finden. Kein Problem also. Auch die Pantoffelschnecke aus Amerika filtert zwar mit Miesmuscheln um die Wette das Plankton weg, aber verdrängt sie nicht ganz. Sie senkt sogar den Parasitendruck auf die Miesmuschel, indem sie angreifende Saugwurmlarven mit winzigen Muskelzuckungen wegboxt, bis diese zu müde sind, um Miesmuscheln zu infizieren.
- Es gibt Bad Guys: Problematisch wird es, wenn Neobiota eine Schlüsselart des Wattenmeeres so stark reduzieren, dass anderen Arten – oft Vögeln – die Nahrung fehlt. Die Pazifikauster filtert effizienter als die Miesmuschel und hat diese Art, die ein wichtiges Futter für Eiderente, Austernfischer oder Silbermöwe ist, in ein Nischendasein verdrängt. Dies macht den Muschelfressern das Leben schwer und ihre Bestände sinken. Die im Sylter Watt neu aufgetretene Schlauchalge Vaucheria durchwurzelt den Sand so stark, dass den Wattwürmerm das Fressen schwer fällt und sie abwandern. Ohne Wattwürmer verarmt das Bodenleben und den Vögeln fehlt Nahrung.
- Manche Neobiota habe auch positive Wirkungen. Die Manila-Teppichmuschel hat nicht nur hübsche Schalen, sie bietet ebenso eine neue Nahrungsquelle für Austernfischer und andere Muschelfresser und ist hitzeresistenter als unsere heimische Plattmuschel. Die Amerikanische Trogmuschel Mulinia wird vermutlich ähnlich wirken, wenn sie sich weiter ausbreitet. Der Japanische Beerentang hat im Nordsylter Watt auf Pazifikaustern einen Algenwald gebildet, in dem sich Seestichling, Seenadeln und vielleicht auch bald Seepferdchen so wohl fühlen, wie sie es vor 100 Jahren in unseren Seegraswiesen taten, die durch eine (wahrscheinlich ebenfalls eingeschleppte) Pilzinfektion ausgerottet wurden.
Fazit: Neobiota haben viele Effekte im Ökosystem Wattenmeer, die schwer vorherzusagen sind. Da jede eingeschleppte Art ein unkalkulierbares Risiko darstellt, sollten Einschleppungen allerdings aus Vorsorge vermieden werden.