Was hat das Wattenmeer mit der Klimakrise zu tun?

Artikel zum Jubiläum 40 Jahre Nationalpark

In diesem Jahr wird der Nationalpark Schleswig-Holsteinisches Wattenmeer 40 Jahre alt. Hierzu beleuchten wir in einer Serie von Artikeln verschiedene Aspekte dieses Jubiläums. Dr. Hans-Ulrich Rösner, ehemals Leiter des Wattenmeerbüros des WWF, beschreibt hier den Zusammenhang von Klimakrise, Meeresspiegelanstieg, Energiege- winnung und Küstenschutz mit dem Nationalpark.

Der Nationalpark Wattenmeer ist durch die Klimakrise massiv bedroht
Erhöhte Temperaturen werden die Artengemeinschaften belasten und verändern. Der Meeresspiegel wird durch die Erwärmung des Meerwassers und das Abschmelzen des Polareises beschleunigt steigen. Eine Erhöhung um bis zu 110 cm befürchtet das „Intergovernmental Panel on Climate Change“ (IPCC) im globalen Mittel bis Ende des Jahrhunderts, und danach eine Fortsetzung des Anstieges.

Für das Wattenmeer bedeutet das: Große Teile der Wattflächen können dauerhaft überflutet werden. Salzwiesen, Strände und Dünen können durch Abbruch verloren gehen. Zudem können Sturmfluten höher auflaufen und Menschen gefährden.
Die Folgen der Klimakrise sind die größte Bedrohung für Mensch und Natur an der Nordseeküste. Auch für das Wattenmeer brauchen wir also globalen Klimaschutz.
Das bedeutet unter anderem Klimaneutralität bei der Energieerzeugung, also die Umstellung auf erneuerbare Energien wie die Windenergie.

Meeresspiegelanstieg gefährdet Populationen
Der beschleunigte Meeresspiegelanstieg gefährdet u.a. die Wattflächen durch dauerhafte Überflutung. Dadurch würden Teile der Nahrungsflächen für die 10 Millionen Wat- und Wasservögel wegfallen, die auf ihrem Zugweg bei uns rasten. Für sie ist das Wattenmeer eine überlebenswichtige Drehscheibe zwischen den Brutgebieten im arktischen Norden und den Überwinterungsgebieten im Süden. Auch für unsere Brutvögel – z.B. Austernfischer, Möwen, Seeschwalben – steht viel auf dem Spiel. So werden deren Bodennester schon heute immer häufiger durch „Sommersturmfluten“ zerstört und die Gefahr nimmt zu, dass der Bruterfolg zur Erhaltung der Populationen nicht mehr ausreicht.

Beitrag der Nordseeküste zum Klimaschutz
Im Wattenmeer dürfen keine Windenergieanlagen gebaut werden. Das ist auch richtig so, denn der Schutz der Natur und der Schutz des Klimas dürfen nicht gegeneinander ausgespielt werden. Auf der Landseite und der Seeseite des Wattenmeeres wird aber vor allem durch Windenergie schon heute eine große Menge erneuerbarer Energie gewonnen. Da hier bereits mehr Strom erzeugt als verbraucht wird, leistet die Küste sogar einen wesentlichen Beitrag für die Energiewende im ganzen Land. Dieser Beitrag kann und muss noch größer werden, wollen wir Klimaneutralität in Deutschland erreichen.

Die Schattenseite ist, dass auch die Erzeugung von erneuerbarer Energie ohne negativen Einfluss auf Natur und Landschaft nicht möglich ist. Bei Kohle, Öl, Gas und Atomenergie sind die Nebenwirkungen allerdings noch weit größer. Je nach Standort eines Windparks sind sie aber unterschiedlich groß, und es gilt, jene Standorte zu finden, bei denen sie am geringsten sind. In Schutzgebieten, besonders attraktiven Landschaften oder auf Zugwegen der Vögel sollten Windparks also nicht gebaut werden. In vielen anderen Gebieten sind die Schäden an der Natur jedoch geringer. Insgesamt erscheint die Lage der bestehenden Windparks an der Küste in den meisten Fällen sinnvoll. Dazu hat vor allem in Schleswig-Holstein eine Regionalplanung beigetragen, mit der aus einer landesweiten Perspektive jene Flächen für die Windenergie ausgewählt wurden, bei denen im Vergleich die geringsten Nebenwirkungen zu erwarten sind.

Negative Einflüsse auf den Nationalpark bestehen dennoch. Zu diesen zählt die Kollisionsgefahr für die das Wattenmeer aufsuchenden Wat- und Wasservögel. Eine sehr große Belastung entsteht durch die Kabel, mit denen die Offshore-Windparks an das Übertragungsnetz angeschlossen werden und die dafür das Wattenmeer durchqueren. In Schleswig-Holstein werden alle Kabel auf einer Trasse nördlich von Büsum an Land geführt. Durch diese Bündelung werden zwar weitere Trassen vermieden, zusätzlich müssen die Eingriffe aber durch eine Verringerung der Zahl der Kabel und größere Übertragungsleistungen sowie eine möglichst umweltverträgliche Verlegetechnik begrenzt werden.

Im niedersächsischen Nationalpark Wattenmeer, auf dem kürzestem Weg zwischen den Offshore-Windparks und dem Energiebedarf im Süden gelegen, reicht eine Trasse für alle Kabel leider nicht aus. Aus Sicht der Naturschutzverbände ist es deshalb erforderlich, dort die Kabel durch die schon vorgeschädigten Fahrwasser zu führen.

Die positive Rolle der Nordseeküste für die Energiewende leidet jedoch durch Ölförderung mitten im Nationalpark. Kurz nach dessen Gründung 1985 wurde eine Bohr- und Förderplattform für Erdöl auf der Mittelplate errichtet. Dies war schon damals nicht akzeptabel – Ölförderung gehört einfach nicht in einen Nationalpark; dort muss die Natur Vorrang haben. Aufgrund einer kürzlich geschlossenen Vereinbarung mit dem Land soll die Ölförderung nun im Jahr 2041 beendet und die Plattform danach zurückgebaut werden. Für die Natur, aber auch für den Klimaschutz, ist dies viel zu spät!

Auch Klimaanpassung notwendig: „Wachsen mit dem Meer“
Doch selbst wenn die Pariser Ziele für den Klimaschutz erreicht werden, wird der Meeresspiegel noch längere Zeit ansteigen. Wirksamer Klimaschutz allein reicht also nicht; er muss durch Maßnahmen zur Klimaanpassung ergänzt werden. An der Nordseeküste betrifft dies vor allem den Küstenschutz, der klassisch durch den Bau von Deichen, Deckwerken, Lahnungen, Dämmen und zunehmend auch durch Sandaufspülungen geprägt ist.

Doch Deiche schützen nicht dagegen, dass das Land hinter ihnen absinkt, während davor der Meeresspiegel steigt. Dämme und Deckwerke haben große Nachteile für die Natur, „weicher“ Küstenschutz durch Sandaufspülungen ist, wenn er möglich ist, meist vorzuziehen. Küstenschutz und Naturschutz müssen jedenfalls immer besser zusammenarbeiten, um den Herausforderungen von Klima- und Biodiversitäts-Krise gemeinsam zu begegnen. Ein wichtiger Schritt auf diesem Weg war die vor 10 Jahren beschlossene schleswig-holsteinische „Strategie für das Wattenmeer 2100“, bei deren Erarbeitung auch Schutzstation Wattenmeer und WWF mitgewirkt hatten.

Der Schutz der Menschen vor Sturmfluten und der Schutz des Wattenmeeres vor Zerstörung durch den Meeresspiegelanstieg hängen zusammen. Unter den möglichen Maßnahmen müssen stets jene ausgewählt werden, die die Natur möglichst wenig beeinträchtigen. Sie sollten dem Wattenmeer dabei helfen, mit dem Meeresspiegelanstieg in die Höhe zu wachsen, z. B. indem der natürliche Transport von Sedimenten im und ins Wattenmeer unterstützt und deren Ablagerung nicht behindert wird. Vielleicht muss eines Tages auch zusätzlicher Sand aus der Nordsee aufgespült werden, um den Folgen des Meeresspiegelanstiegs zu begegnen.
Perfekte Lösungen gibt es noch nicht. Deshalb brauchen wir Pilotprojekte, mit denen die Möglichkeiten für eine naturverträgliche Klimaanpassung des Wattenmeeres erforscht und ausprobiert werden – aktuelle Beispiele sind „ECOHAL“ für den Schutz der Halligen und „Sandküste St. Peter-Ording“.

 

Abgasfahnen an Kraftwerk
Die starke Nutzung fossiler Energien heizt unsere Atmosphäre immer weiter auf.
Kondensstreifen über dem Watt
Kondensstreifen vorige Woche über dem Wattenmeer. Die Klimaerwärmung lässt auch den Meeresspiegel steigen.
Luftbild der Plattform Mittelplate
Selbst im Nationalpark ist die Ölförderung über Jahrzehnte Realität. Die Plattform Mittelplate sollte baldmöglichst abgebaut werden.
Abbruchkante vor einer Halligwarft
An dieser Prielkante auf Hallig Hooge zeigt sich, wie die Hallig durch die bei Landuntern abgesetzten Sediment-Schichten in die Höhe gewachsen ist.
Luftbild einer Hallig bei Landunter
Landunter auf Hallig Langeneß. Wird die Sedimentation ausreichen, die Halligen auch mit schneller steigendem Meeresspiegel wachsen zu lassen?
Demonstration am Deich vor Friedrichskoog
Widerstand gegen die ungebremste Nutzung fossiler Energien: Demo im Watt gegen die Ölplattform Mittelplate.
Kernkraftwerk an der Unterelbe
Kernkraft, hier das AKW Brokdorf an der Unterelbe, wird die Klimakrise nicht lösen können. Atommüll für Jahrtausende sammelt sich - ohne Perspektiven für eine sichere Endlagerung.
Windmühlen, Fotovoltaik und Biogasanlage
Schon heute erzeugt die Küstenregion weit mehr regenerative Energie, als hier verbraucht werden kann.
Rastende Vögel vor Windmühlen im Hintergrund
Mit sinnvoller Raumplanung ist ein Nebeneinander etwa von Windenergieanlagen und Schutzgebieten wie dem Beltringharder Koog möglich.