Invasive Arten: Gerangel um die Plätze

Nationalpark-Themenjahr Artenvielfalt

Die Begriffe „Neobiota“ und „invasive Arten“ werden oft gleichgesetzt, und jede eingeschleppte Art wird als Bedrohung empfunden. Ganz so schlimm ist es zwar nicht, doch eingeschleppte Arten können die heimische Tier- und Pflanzenwelt deutlich negativ verändern.

Einige exotische Arten entwickeln sich invasiv: Sie vermehren sich massenhaft, übernehmen in manchen Biotopen die Herrschaft und verdrängen heimische Arten. Typische Beispiele an Land sind die Amerikanische Traubenkirsche, die Heideflächen überwächst und der Japanische Staudenknöterich, der Bachtäler und Waldränder überwuchert. 
Im Watt bildet die Pazifische Auster überall dort dichte Riffe, wo früher Miesmuschelbänke waren. Die Miesmuschel kommt deshalb nur noch seltener vor; die von ihr lebenden Vögel wie Austernfischer oder Eiderenten haben Nahrungsengpässe. Diese Art von Raumkonkurrenz, bei der eine großwüchsige exotische Art die heimischen kleineren Arten verdrängt, tritt häufig bei invasiven Neobiota auf. Das Englische Schlickgras, das weite Teile der Quellerzone in den Salzwiesen überwuchert hat, ist ebenso ein Beispiel hierfür wie der Japanische Beerentang, der an den Felsküsten Helgolands und des übrigen Europa große Flächenanteile übernommen hat.

Ein wenig anders gelagert ist der Fall, wenn eine eingeschleppte Art einer ortsansässigen Form stark ähnelt und dieser unmittelbare Konkurrenz macht. Der amerikanische Mink verdrängt den etwas kleineren und schwächeren europäischen Nerz aus Deutschland, und das Graue Eichhörnchen aus Amerika verdrängt das kleinere rote europäische Eichhörnchen aus England. Auch im Wattenmeer gibt es solche Artenpaare: Die Weiße Bohrmuschel (Barnea) geriet um 1900 unter Druck, als die in Körperform und Lebensweise sehr ähnliche Amerikanische Bohrmuschel (Petricola) eingeschleppt wurde. Heute scheint es so, dass beide Arten parallel existieren und sich die Hartböden, in denen sie bohren und leben können, „aufgeteilt“ haben. Die Weiße Bohrmuschel ist etwas wendiger in ihren Bohrbewegungen und kann beim Bohren in Holz, Torf und Kalkstein den Platz besser ausnutzen als ihre amerikanische Konkurrentin.

Zunehmend ungleich sieht die Verteilung des Raumes  zwischen Australischer und Gewöhnlicher Seepocke aus. Die um 1940 nach Europa verschleppte Art von der Südhalbkugel besiedelt an der Flutkante auf Steinen und Mauern große Flächen. Nur nach Eiswintern kann die ehemals dort allein lebende heimische Art (Semibalanus) wieder Flächen besiedeln, wenn die Australierinnen erfrieren. Auch im tieferen Watt scheint die dort typische Kerbseepocke zunehmend von der Australierin verdrängt zu werden. Für Krebse und Vögel, die Seepocken fressen, macht dies vielleicht keinen Unterschied, doch für Gewöhnliche und Kerbseepocke ist es ein Problem: Sie haben keinen Ort, wohin sie ausweichen können. Vielleicht nordwärts, in Gebiete mit noch kalten Wintern?

Mit dem Erscheinen von Japanischer und Pinsel-Felsenkrabbe im Wattenmeer um das Jahr 2006 bekam die Strandkrabbe, die zuvor Alleinherrscherin über Wattflächen, Muschelbänke und Uferzonen gewesen war, gleich doppelte Konkurrenz. Zwar wird die Strandkrabbe viel größer als die Asiatinnen, aber die Scheren der Felsenkrabben sind relativ kräftiger. Beim Kampf zwischen gleich großen Jungtieren siegen die Felsenkrabben. Allerdings benötigen sie harten Untergrund als Lebensraum, sodass die Strandkrabbe aus Muschelbänken und von Steinkanten verdrängt worden ist, aber weiterhin Herrin der Sandwatten bleibt.

Ein ganz aktuelles Konkurrenzproblem ist der Langarm-Einsiedler (Pagurus longicarpus) aus Nordamerika, der 2018 in Wilhelmshaven und 2020 nördlich der Elbmündung erstmals in Europa entdeckt wurde und sich schnell ausbreitet. Er wird längst nicht so groß wie unser heimischer Einsiedlerkrebs (Pagurus bernhardus), scheint aber im Jugendstadium viel kämpferischer zu sein. Im nordfriesischen Watt findet man derzeit in leeren Strandschnecken überwiegend die Invasionsart. Wenn der heimische Einsiedler in der Jugend keine Schneckenhäuschen abbekommt, nützt es ihm nichts, dass er theoretisch größer wird als der Eindringling. Man wird sehen, wie der Wettkampf ausgeht. Auch dem Europäischen Hummer könnte ein „Bruderkampf“ drohen, falls die Amerikanische Zwillingsart eingeschleppt würde. Streitbare nahe Verwandte können ein echtes Problem sein...

 

Dieser Artikel ist Teil unserer Serie zum Nationalpark-Themenjahr „Vielfalt unter Wasser“. Weitere Beiträge sind 

Übrigens: Mit dem Strandfunde-Internetportal BeachExplorer können naturinteressierte Menschen auch mit Zufallsbeobachtungen dieser und weiterer Arten, dazu beitragen, die gerade ablaufenden Veränderungen der Lebensgemeinschaften im Wattenmeer genauer zu dokumentieren.

 

Schlickgras mit einigen Quellerpflanzen
Wo das große, mehrjährige Schlickgras wächst, ist für den Queller kaum noch Platz.
Bank der Pazifischen Auster
Eigentlich sind Wattflächen nahe der Niedrigwasserlinie bevorzugter Lebensraum der Miesmuschel. Häufig werden sie dort inzwischen von der Pazifischen Auster verdrängt. Barfuß kann man dort nicht mehr laufen.
Weiße und Amerikanische Bohrmuschel
Am Strand findet man heute meistens Schalen der Amerikanischen Bohrmuschel (vorn), Weiße Bohrmuscheln (hinten) sind seltener.
Pinsel-Felsenkrabbe kneift in Finger
Autsch! Die Pinsel-Felsenkrabbe kann kräftig zupacken. Auch Strandkrabben sind ihnen meist unterlegen.
Australische Seepocken neben einer Gewöhnlichen
Australische haben sich neben einer Gewöhnlichen Seepocke angesiedelt.
25 Langarm-Einsiedler auf dem Watt
Diese amerikanischen Langarm-Einsiedlerkrebse stammen von einer Fläche von 10 Quadratmetern. Heimische Einsiedler findet man viel seltener.