Der Stör

(Acipenser sturio)

Themenjahr Unterwasserwelt - Tier des Monats Februar

Dicker Fisch - am seidenen Faden

Es war einmal ein dicker Fisch, der lebte in der Nordsee und schwamm zur Eiablage die Flüsse hinauf. Er konnte fünf Meter lang und über 100 Jahre alt werden. Dann kam der Mensch, begradigte die Flüsse, baute Stauwehre und fing alle dicken Fische, die sich vor den Sperrwerken stauten. Ende der Geschichte. Beinahe jedenfalls.
Wer vor 100 Jahren in Tönning den Hafen besuchte, konnte dort den Fischern bei der Anlandung von über zwei Meter langen Stören zusehen. Die laichbereiten Weibchen wurden aufgeschlitzt, ihre Eier eingesalzen, und das ergab „Tönninger Kaviar“. Außerdem lieferte ein großer Stör über 300 Kilo sehr wohlschmeckendes Fleisch.
 

Zusammenbruch durch Überfischung und Sperrwerke

In Rhein und Elbe war die Art bereits um 1900 ausgerottet, und auch die Störpopulation der Eider sah bald ihrem Ende entgegen: 1936 wurde der Fluss etwa 25 Kilometer oberhalb von Tönning mit einem Sperrwerk durchtrennt, um das Hinterland gegen Sturmfluten zu schützen. Kein Stör konnte mehr zu seinen Laichplätzen gelangen, und die Fischerei erledigte den Rest. 1969 wurde der letzte Stör in der Eider gefangen und vor laufender Kamera des ZDF an Land gezerrt. Dieser Filmausschnitt ist im Multimar in Tönning zu sehen.
Das letzte Exemplar der Nordsee schwamm ab etwa 1960 im Aquarium auf Helgoland im Kreis – über 50 Jahre lang. Dann wurde es zusammen mit einigen Stören aus Frankreich, wo es in der Gironde noch eine allerletzte Wildpopulation des Europäischen Störs gibt, in eine Zuchtanlage bei Berlin überführt, um – hoffentlich – den Fortbestand der Art zu sichern. Die letzten natürlichen Eiablagen des Störs in der Gironde waren 1988 und 1994, zuletzt nur noch von einem einzigen Weibchen. Seither hängt das Schicksal des Europäischen Störs am seidenen Faden und ist vom Erfolg künstlicher Nachzuchten in Gefangenschaft abhängig.
 

Ruhige Riesen

„Stor“ ist das althochdeutsche und skandinavische Wort für „groß“, was auf die Fische dieser Familie sehr deutlich zutrifft. An der Rhône sind Knochen eines Europäischen Störs ausgegraben worden, der 5,50 Meter lang war! Störe sind die altertümlichste Gruppe der Knochenfische. Ihr Maul ist zahnlos und rüsselartig und wird zum Einsaugen von kleinen Wassertieren oder Fischen genutzt. Die Kinnfäden (Barteln) tragen elektrische Sinnesorgane, mit denen im Bodenschlamm vergrabene Beutetiere geortet werden können. Störe haben einen niedrigen Stoffwechsel und schwimmen selten mit mehr als 3,5 km/h. Die Laichgebiete liegen meist 50 – 100 km landeinwärts in kiesigen Seitenflüssen, wo die Jungfische ihre ersten Lebensmonate versteckt im Bodenkies verbringen. Mit 2 – 3 Jahren wandern sie ins Brackwasser der Flussmündungen und später hinaus ins offene Meer. Nur alle 3 – 4 Jahre schwimmen die Altfische die Flüsse hinauf, um zu laichen.

Es gibt 25 Störarten in den kühlen Flüssen der Nordhalbkugel, wovon 23 mittlerweile gefährdet und 16 sogar akut vom Aussterben bedroht sind. Da die Störe meist erst mit 10 – 20 Jahren geschlechtsreif werden und wegen ihrer Größe sehr leicht zu fangen sind, haben die Jagd nach Kaviar und sonstige illegale Fischerei fast alle Bestände ruiniert. In der Donau gab es fünf Störarten, die vom Schwarzen Meer zum Laichen teils bis nach Bayern schwammen. In der Nordsee dagegen lebte nur eine Störart – dachte man bis etwa 2005. Dann wurde entdeckt, dass der mittlerweile komplett ausgerottete Ostseestör genetisch mit dem Atlantischen Stör aus Nordamerika identisch war. Zunächst nahm man an, unternehmungslustige Störweibchen aus Kanada seien in die Ostsee geschwommen. Dann stellte sich jedoch heraus, dass fossile Knochenschuppen dieser kältetoleranten Art auch in Westeuropa zu finden waren.

Bewegte Geschichte - Ende offen

Heute weiß man, dass während der letzten Eiszeit der Europäische Stör im Mittelmeer lebte, während der Atlantische Stör beiderseits des Atlantiks vorkam, auch in Westeuropa. Mit dem Abtauen der Gletscher breitete die Art sich nordwärts bis in die Ostsee aus, während der Europäische Stör vom Mittelmeer aus bis in die Nordsee nachrückte. Dann setzte die menschliche Auslöschung der großen Fische ein, und die Oder und die Gironde wurden die letzten Rückzugsgebiete unserer Störe. In der Oder versucht man mittlerweile, kanadische Artgenossen des ausgerotteten Ostseestörs anzusiedeln. Ob die seit 2008 erfolgenden Wiederansiedlungsversuche in der Elbe und in anderen Flüssen erfolgreich sein werden und ob im Wattenmeer jemals wieder Störe schwimmen werden, ist noch sehr unsicher.

 

Dieser Artikel stammt aus der Zeitschrift "wattenmeer" Heft 2020-1 mit dem Schwerpunkt "Unterwasserwelt".

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